Der auf Wirtschaftskriminalität spezialisierte Staatsanwalt bearbeitet gerade die Causa Buwog, die Affäre rund um die schwarz ausbezahlten Millionenprovisionen an die Geschäftspartner von Exfinanzminister Karl-Heinz Grasser.
Am Sonntag studierte Haselhofer deshalb das neue profil. Der Verkauf von 62.000 Buwog-Wohnungen, so behauptete darin ein anonym auftretender Exkabinettsmitarbeiter Grassers, sei ein „abgekartetes Spiel“ gewesen. Nicht nur der spätere Käufer der Liegenschaften, die rund 960 Millionen Euro wert waren, die Immofinanz, sei damals festgestanden. Auch der Ex-FPÖ-Politiker, Lobbyist und spätere Grasser-Kompagnon Walter Meischberger sollte in dem Deal „an Bord“ geholt werden.
Das Bieterverfahren, so der Informant sinngemäß, sei nur ein Bluff gewesen. Karl-Heinz Grasser und sein heutiger Geschäftspartner, der Immobilientreuhänder, Buwog-Aufsichtsrat und frühere FPÖ-Sponsor Ernst Karl Plech, hätten nämlich vorgegeben, „wohin die Reise gehen“ solle. Die über Scheinfirmen ausbezahlten zehn Millionen für die Grasser-Freunde Walter Meischberger und Peter Hochegger seien daher auch in diesem Lichte zu betrachten.
Während der aufgebrachte Exfinanzminister noch rätselte, welcher Mitarbeiter ihn da belastet haben könnte, und Plech über seine Anwälte alles dementierte, setzte sich Staatsanwalt Haselhofer an seinen Computer und googelte den Namen des mysteriösen profil-Informanten. Es ist der ehemalige stellvertretende Kabinettschef Michael Ramprecht. Er war im Finanzministerium für die Privatisierung der Staatswohnungen zuständig, wurde dann von Grasser zum Geschäftsführer der Bundesbeschaffungsagentur ernannt und später wegen dubioser privater Immobiliendeals von diesem Posten entfernt.
Staatsanwalt Haselhofer hätte den Amtsweg einhalten und die Polizei mit der Ausforschung des Kronzeugen beauftragen können. Anstatt Vorladungen zu diktieren, suchte er sich lieber selbst die Handynummer Ramprechts und befahl ihn noch am Sonntag zum Verhör.
Der ehemalige Grasser-Vertraute, so wurde dem Falter am Montag aus Justizkreisen bestätigt, wiederholte auch unter Wahrheitspflicht als Zeuge vor dem Staatsanwalt, was er Journalisten kurz zuvor anvertraut hatte. Der Buwog-Verkauf sei eine geschobene Sache gewesen. Es sei, so legte Ramprecht nach, Grassers Wunsch gewesen, dass die Immofinanz, die die später üppig entlohnten Lobbyisten Meischberger und Hochegger beschäftigte, den Zuschlag erhalte. Alle drei bestreiten dies.
Die Justiz macht also Druck, und Haselhofers Eile passt so gar nicht zur Trägheit seiner Kollegen aus der „politischen Abteilung“ der Staatsanwaltschaft, die dieser Tage so unter Beschuss stehen, weil sie Anzeigen gegen ÖVP-Politiker so lange „übersehen“ hatten, bis diese verjährten.
Eile ist zwar nicht das erste Gebot der Justiz, doch manchmal wichtig, um Beweise zu sichern. Haselhofer wollte wohl die Aussage eines wichtigen Zeugen zu Protokoll bringen, ehe der angebliche Aufdecker durch Millionenklagen eingeschüchtert werden könnte. Dass so etwas geschehen kann, zeigten ja auch andere hochpolitische Verfahren der Vergangenheit. In der „Stadionaffäre“ rund um das Klagenfurter EM-Stadion, als es um Schmiergeldzahlungen an die FPÖ durch den Baukonzern Strabag ging, wurde ein Architekt, der Korruption beklagte, durch eine Klagsflut zum Schweigen gebracht. Und der abgesetzte Kripo-Chef Herwig Haidinger, der über Korruption im Innenministerium auspackte, wurde mit Disziplinaranzeigen geradezu überschüttet.
Auch Karl-Heinz Grasser (vertreten durch den gefürchteten Medienanwalt Michael Rami) drohte am Montag dem ehemaligen Kabinettsmitarbeiter Ramprecht mit teuren Kreditschädigungsklagen. Der ehemalige Kollege, so Grasser, habe sich ja „selbst etwas zuschulden kommen lassen“ und führe nun einen erpresserischen Rachefeldzug gegen ihn. Es gilt die Unschuldsvermutung für beide. Die Klagsdrohungen wirken offenbar. Ramprecht ist zu weiteren Stellungnahmen nicht bereit. Am Telefon lässt er sich verleugnen.
Die Justiz sammelt derweil weitere Beweise. Die neuen Manager der maroden Immofinanz helfen ihr dabei. Sie wollen die Millionenprovisionen wieder zurück, weil dafür angeblich keine Leistungen erbracht worden sei. Die Kriminalpolizei durchsucht Wohnungen und Büros von Grassers Trauzeugen Walter Meischberger, der seine Unschuld beteuert. Und das Finanzamt durchforstet die Konten von dessen PR-Firma Valora, an der auch Grasser kurzfristig beteiligt war. Über diese Firma, so lautet der von allen Beteiligten bestrittene Verdacht, könnten die Millionenprovisionen verteilt worden sein.
Die Anklagebehörde geht nun Hinweisen nach, wonach geheime Informationen im Bieterverfahren Grassers Freunden zugesteckt worden seien. Ein Vorwurf, den der Exfinanzminister brüsk zurückweist. Doch er wird erklären müssen, wieso das Gebot der Immofinanz für die Buwog nur rund ein Promille über jenem der Konkurrenz lag. So ein hauchdünner Vorsprung bei einem Milliardengeschäft legt auch für die Ankläger den Verdacht nahe, dass die Gebote verraten wurden.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Bemerkung Walter Meischbergers. Gegenüber dem Falter gab er vergangene Woche zu, einst von Jörg Haider vertraulich erfahren zu haben, dass das Land Kärnten auf ein Vorkaufsrecht bei der Veräußerung eines Teils der Bundeswohnungen verzichten werde. Das Vorkaufsrecht habe sich Haider nur aus politischen Gründen zusichern lassen, um in Kärnten als möglicher Retter der Wohnungen punkten zu können.
Eine wertvolle Insiderinformation, die Meischberger über den Lobbyisten Hochegger an die Immofinanz weiterleitete, die deshalb in ihrem Gebot die Wohnungen aus Kärnten möglicherweise höher bewertete als die Konkurrenz.
Nur ein Problem taucht bereits jetzt auf: Die Affäre Buwog könnte längst verjährt sein. Erst wenn nachgewiesen werden kann, dass Grasser der Republik einen Schaden von mehr als 50.000 Euro zugefügt hat, seien weitere Ermittlungen möglich. Auch ein Strafverfahren gegen Walter Meischberger und Peter Hochegger ist ungewiss. Schließlich haben sich die beiden selbst angezeigt – allerdings erst, nachdem ein Journalist vom Wirtschaftsblatt von den Schwarzgeldzahlungen Wind bekam und darüber am 11. September berichtete.
Das Tempo der Ermittlungen im Fall Buwog ist wohl auch ein Signal für die Öffentlichkeit. Die Staatsanwaltschaft weiß, dass sie ihren Ruf der Untätigkeit loswerden muss, zumal wenn es um die Aufarbeitung von Vorwürfen gegen die Staatsspitze geht. Nicht nur die vom Falter veröffentlichten Akten der Weisungssektion im Justizministerium haben das Ansehen der Anklagebehörde ramponiert. Politiker, Richter, Staatsmanager und Polizisten wurden mit merkwürdigen Begründungen und in verschleppten Verfahren vor Strafverfahren geschont – sehr zum Ärger von Korruptionsermittlern, die neue Sitten in der Republik fordern.
Vergangenen Freitag wurde im U-Ausschuss des Nationalrats der nächste Justizsaustall sichtbar. Die Opposition hatte den Wiener Staatsanwalt Christian Walzi gehörig ins Gebet genommen. Es ging um die Freunderlwirtschaft eines anderen schwarzen Ministers: die des Ernst Strasser.
Anfang März 2008 hatte der Falter ein Konvolut jener E-Mails an Staatsanwaltschaft und BIA übersandt, in denen schwarzer Postenschacher und Einladungen zu Jagden durch den Waffenlobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly dokumentiert waren.
Was geschah? Das 150 Seiten starke Paket blieb unbearbeitet liegen. „Ich habe die Anzeige übersehen“, gab Walzi zerknirscht vor den fassungslosen Parlamentariern zu. Statt zu prüfen, ob öffentliche Posten vom Innenminister nach Parteibuch vergeben wurden, ließ Walzi erheben, wer denn die E-Mails gestohlen haben könnte. Auch mehrmaliges Nachfragen seitens des Falter bei BIA und Staatsanwaltschaft änderte an seinem Desinteresse nichts. Beim BIA gab man sich noch untertäniger: „Ja, wenn wir da einmal hineinstechen würden!“, bemerkte ein BIA-Beamter .
Dem Justizministerium gehen diese Unsitten offenbar zu weit. Im Dezember 2008 fragte ein Beamter nach, warum gegen Strasser noch immer nicht ermittelt worden sei. Doch wieder blieb derAkt liegen. Er wanderte zu einem 29-jährigen Staatsanwalt, der den Akt nun wegen Verjährung dem Reißwolf füttern muss. Walzi wird sich für seine Untätigkeit in einem Disziplinarverfahren verantworten müssen. Und Justizministerin Claudia Bandion-Ortner kündigte eine Kontrolle der Staatsanwälte an.
Wo liegen die Gründe für solche Zustände? Wieso sind flinke Staatsanwälte wie Buwog-Ankläger Norbert Haselhofer Ausnahmeerscheinungen? Ankläger, Korruptionsfahnder und Oppositionelle bieten viele Erklärungen dafür. „Personalnot“ lautet eine. Die Staatsanwaltschaft, mit enormen Kompetenzen aufgerüstet, sei unterbesetzt und nicht mehr imstande, die Aktenflut zu bewältigen.
In der Korruptionsstaatsanwaltschaft etwa arbeiten zum Beispiel nur fünf Ankläger an den größten und kompliziertesten Causen des Landes. Und das, so beklagen die Korruptionsjäger, sei wohl kein Zufall.
„Kompetenzmangel“, lautet die zweite Erklärung für die träge Justiz. Für komplizierte und globale Wirtschaftscausen der Sorte Buwog, Meinl, Mensdorff und Immofinanz seien die juristisch, aber nicht betriebswirtschaftlich geschulten Staatsanwälte einfach zu schlecht ausgebildet. Beschuldigte Wirtschaftsbosse, vertreten durch eine Armada von mit allen Wassern gewaschenen Wirtschaftsadvokaten, klatschen die Justiz an die Wand, wie derzeit die Causa Julius Meinl zeigt. Jeder Fehler wird von Anwälten und PR-Leuten Meinls via Presseaussendung skandalisiert. Dass die Justizministerin nun verspricht, ein paar Wirtschaftsexperten für die Staatsanwaltschaft zu engagieren, ist zwar ein guter Anfang, mehr aber auch nicht.
Dritte Erklärung: die Feigheit der Ankläger gegenüber den Mächtigen. Nicht nur der Grüne Peter Pilz beklagt, die Staatsanwaltschaft habe sich in den letzten Jahren zu einer Filiale der Macht entwickelt. Auch Exrechnungshofpräsident Franz Fiedler rügt immer wieder, dass die Ankläger politisch subtil gesteuert werden könnten, etwa durch die Aussicht auf Beförderungen.
Werner Pleischl, der streitbare Chef der Oberstaatsanwaltschaft Wien, beklagt, noch immer dem Justizminister weisungsunterworfen zu sein. „Solange ein Politiker oben sitzt und hipp und hopp sagen kann, werden wir ständig im Geruch der Geheimniskrämerei und der Politjustiz stehen. Selbst wenn die Realität anders aussieht.“
Pleischl leidet unter dem Beschuss der Opposition. Die Attacken des Parlaments erlebt er als „Paradigmenwechsel“ im Umgang mit der Justiz. Die heilige Justiz, muss er erkennen, wird nun auch von Volksvertretern in deren Sprache kritisiert.
Das hat Vorteile, weil dadurch Missstände aufgedeckt werden. Aber es öffnet auch noch mehr parteipolitischer Einflussnahme von der falschen Seite Tür und Tor. Vor allem das BZÖ kritisiert dieser Tage Staatsanwälte und die Antikorruptionstruppe BIA ja auch aus eigennützigen Motiven (etwa weil der vorbestrafte Peter Westenthaler wegen Nötigung eines Polizisten angeklagt werden soll).
Pleischl tritt deshalb für eine umfassende Reform ein. Die Staatsanwälte sollten nicht mehr dem Minister, sondern einem Senat von vier Oberstaatsanwälten unterworfen sein. Dadurch könne der Vorwurf der Politjustiz neutralisiert werden. Einstellungen in politisch brisanten Verfahren sollten zudem wie OGH-Urteile im Internet öffentlich gemacht werden. „Wir haben momentan das Problem, dass Dinge geheim sind, die eigentlich öffentlich sein müssten“, sagt Pleischl, „und die Medien veröffentlichen höchst private Daten, die niemanden etwas angehen.“
Pleischls Forderungen lassen die schwarze Justizministerin Claudia Bandion-Ortner kalt. Sie hat bereits versichert, dass sie das Weisungsrecht nicht abschaffen will. Sie hegt andere Pläne. Im Justizministerium arbeitet ihr Kabinettschef an einer großen „Strukturreform“, mit der, so die Sorge vieler Beamter, die letzten progressiven Sektionsleiter abgesägt und durch schwarze Parteigänger ersetzt werden sollen. Vielleicht wird sich bald wieder jemand mit der Parteibuchwirtschaft in einem schwarz regierten Ministerium befassen müssen.